Hamburg (dpa) –
Nach seinem ersten großen Moment im HSV-Trikot brauchte Yussuf Poulsen noch eine Menge Ausdauer. Eine Handvoll Fernsehsender riss sich nach dem spektakulären 3:2 (0:1) gegen Werder Bremen um den Siegtorschützen des Hamburger SV. Der 31-jährige Däne gab ein Interview nach dem anderen. Irgendwann ging die Tür der HSV-Kabine auf und der Sportvorstand persönlich rief ihn herein. Stefan Kuntz und der Rest des Teams wollten endlich den ersten Hamburger Derbysieg in der Fußball-Bundesliga seit fast zehn Jahren feiern.
«Erstes Tor. Im Nordderby. Vor der Nordkurve: Mehr geht gar nicht. Ich kann jetzt meine Karriere beenden», sagte Poulsen hinterher im Scherz. «Für solche Momente wie heute: Genau deswegen spielt man Fußball. Die Spiele, in denen es um ein bisschen mehr geht als um drei Punkte. Die emotional auf dem höchsten Niveau sind. Wo das Stadion 90 Minuten lang kocht.»
Nach diesem Spiel ist Poulsen mehr als nur ein Derbyheld. Seine Geschichte ist größer als die von Pierre-Michel Lasogga, der am 22. April 2016 beide Tore zum bis dato letzten Bundesliga-Sieg gegen Werder schoss (2:1). Poulsens Siegtreffer in der 84. Minute gibt dem zuletzt mehrmals verletzten Angreifer selbst und den HSV-Fans die Hoffnung, dass sich die bislang nicht erfüllten Erwartungen doch noch erfüllen.
Poulsen: Verletzungen «Teil des Sports»
Schon als Kind sah der Däne den HSV in Kopenhagen spielen. Es war kein Zufall, dass Poulsen nach zwölf Jahren bei RB Leipzig und 86 Länderspielen für Dänemark genau diesen Club als nächste Karrierestation wählte. Auf Anhieb wurde er zum Kapitän, zum Führungsspieler, zur großen Sturmhoffnung.
Doch zwei Oberschenkelverletzungen und eine Blessur im Hüftbereich bremsten den vermeintlich wichtigsten Transfer des Sommers immer wieder aus. Auch gegen Werder wurde Poulsen erst in der 82. Minute eingewechselt. Zwei Minuten später schoss er das 3:2 – mit seinem ersten Ballkontakt.
«Ich gehe ja nicht nach Hause und haue mir einen Hammer in mein Bein. Sondern es passiert einfach. Das ist ein Teil des Sports», sagte Poulsen über die vielen Verletzungen und seine schwierigen ersten Monate in Hamburg. «Jetzt bin ich froh, dass ich wieder auf dem Platz stehen kann. Es geht immer darum, der Mannschaft zu helfen. Und heute konnte ich ihr helfen.»
Neuer Stürmer im Winter?
Ein bisschen steckt der HSV jetzt in der Zwickmühle. Er könnte nach diesem Derbysieg auf regelmäßige Tore und Einsätze seines Mittelstürmers vertrauen. Aber das wäre nach den bisherigen Erfahrungen in dieser Saison sehr riskant. Er könnte in der Winterpause einen weiteren Angreifer verpflichten. Aber was wird dann aus Poulsen? Oder dem aktuell verletzten Robert Glatzel?
Immerhin zeigte der Erfolg gegen Werder noch einmal, was diesen HSV ausmacht. Denn die Transfers, die den Aufsteiger tatsächlich erst auf ein Erstliga-Niveau gehoben haben, sind ganz andere: Die beiden Defensivspieler Albert Sambi Lokonga und Luka Vuskovic, die im Nordderby ebenfalls trafen. Und der Spielmacher Fabio Vieira, der erst eine Woche zuvor gegen den VfB Stuttgart das 2:1 in Unterzahl schoss.
Kollektiver Rausch im Volkspark
Später Ausgleich gegen Dortmund, spätes Siegtor gegen Stuttgart, späte Wende gegen Werder: Der HSV und seine Fans erleben im Volksparkstadion gerade einen kollektiven Rausch nach dem anderen. Für Trainer Merlin Polzin ist das kein Zufall: «Die Mannschaft kann gemeinsam mit dem Stadion eine Energie und ein Powerplay entfachen, das zwangsläufig zu Toren führt», sagte er.
Und auch Poulsen hat mit zwei WM-Teilnahmen, zwei EM-Teilnahmen und 42 Champions-League-Spielen von Liverpool bis Madrid schon einiges erlebt. Aber am Sonntag nach dem Nordderby sagte er: «Das ist eines der heißesten Spiele, das ich je erlebt habe.»
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